Kapitel 5 - -

[SIZE=25]Kapitel 5[/SIZE]

[SIZE=12] Vorsichtig schlich Kain durch die dunklen Gänge des Forschungs­ge­bäu­des. Immer wieder musste er sich an Türklinken oder Wänden festhalten, da er außer von Kopfschmerzen auch von Schwindel geplagt wurde, was passiert, wenn man innerhalb von kurzer Zeit mit Hilfe eines Teleporters 618 Jahre in die Vergangenheit und wieder zurück reist. Schließlich kam er zur Tür seines Büros, aus dem seltsamer Weise eine Stimme zu hören war: „…Ja, ja mach dir darum keine Sorgen, ich werde die Bestattung organisieren und natürlich auch alles bezahlen…“ Ein Einbrecher? Jetzt? Hier? Oh Gott, nein! „…Gute Idee, aber leider können wir den Gedenkstein nur in unserem kleinen Hof aufstellen, da sonst jeder fragen würde, was er denn Besonderes getan hätte…Natürlich! Niemand bezweifelt, was dein Mann getan hat! Nur, wir können es im Moment nicht riskieren, dass jemand etwas davon erfährt, stell dir nur vor, jemand würde vor uns für diese Erfin­dung Patent anmelden! …Warum wir das nicht selbst tun? Die Technik ist noch nicht ausgereift genug, als das wir dafür Patent anmelden könnten und wir haben nicht so viel Geld wie andere große Firmen, die bräuchten nur einen Bruchteil der Zeit, die wir noch brauchen“, die Stimme, die das sprach war Kain seltsam bekannt… . Im selben Moment, in dem er erkannte, dass Abel von ihm wie von einem Toten sprach, wurde ihm alles klar. Das letzte Teil des Puzzels hatte sich in die Lücke eingefügt und nun konnte Kain es als Ganzes betrachten, sodass er sich fragte, warum er es erst jetzt erkannt hatte. Er riss die Tür auf und sah direkt in das Gesicht seines erschrockenen Bruders. „Oh, es ist ja schon so spät! Ich, ähm, ich muss jetzt Schluss machen…ja ich hab‘ dich auch lieb, tschüss dann“, stotterte Abel in den Hörer. „ Oh, Kain, wie schön, dich zu sehen! Wir dachten alle, du wärst tot…“. Noch während er das sagte, erkannte er, dass es keinen Sinn mehr hatte, den Unschuldigen zu spielen. „Hallo Abel! Wie ich sehe, hast du es dir gemütlich gemacht und zwar im Sessel des Direktors, in meinem Sessel! Und das Tele­fonat eben? Das war meine Frau, stimmt‘s? Du mieses, hinterhältiges Stück Dreck! Erst versuchst du, mich im 14. Jahrhundert vergammeln zu lassen, dann sagst du allen, es wäre ein Unfall, lässt dich zum Direktor ernennen und versuchst mir meine Frau, Mary, auszuspan­nen! Und das, nachdem ich mich bei unseren Eltern für dich eingesetzt habe, nachdem ich dir großzügig unter die Arme gegriffen habe, als du Arbeitslos geworden bist, und nachdem ich dir dann sogar einen Job verschafft habe. Übrigens, falls du es noch nicht bemerkt hast, du verdienst doppelt so viel wie alle anderen, die hier arbeiten. Und das ist der Dank dafür?“ – „Ich verdiene nicht doppelt so viel, gerade mal 30% mehr.“ – „Ah, das ist also das Wichtigste? Geld? Natürlich hast du genau nachgefragt und nachgerechnet, nicht wahr? Dein Plan hätte ja so gut funktioniert, wenn du nur daran gedacht hättest, dass man die Rückkopplungs-Sicherung ausbauen kann.“ – „Nun ja im Endeffekt ist das nicht so schlimm, glaub mir. Aber was willst du eigentlich jetzt, wo du hier bist, tun? Mich töten? Nun, ich glaube, dazu wird es nicht kom­men.“ Abel zog einen Revolver, den er während des Gespräches aus der Schreibtischschublade gezogen hatte, hervor und legte ihn lässig auf den Schreibtisch: „Zwinge mich nicht, ihn zu benutzen, ich würde deinem lausigen Leben nämlich nur ungern ein Ende machen müssen. Ich werde dich ins Jahr – sagen wir – 1950 schicken. Bis du dann wieder hier bist, also im 21. Jahrhundert, bist du entweder tot oder ein alter Krüppel mit Alzheimer. Du stellst also keine Gefahr mehr da. Ich rate dir übrigens, keine Dummheit wie einen Fluchtversuch zu wagen. Du würdest es bereuen.“ Abel zog eine Spritze, die mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt war, hervor und ging mit ihr in der einen und mit dem Revolver in der anderen Hand langsam auf seinen Bruder zu: „Du verstehst sicher, dass ich kein Risiko eingehen kann. Diese Spritze ist mit einem Schlafmittel gefüllt – nein, es ist keine Überdosis.“ Kain blieb ganz ruhig stehen, als Abel die Spritze ansetzte. Als dieser sie jedoch in Kains‘ Fleisch stoßen wollte, musste er seinen Revolver wegstecken. Auf diesen Moment hatte Kain gewartet. Er griff mit der Hand nach dem Revolver, fand ihn jedoch in der Hektik nicht sofort. Als er ihn dann schließlich zu fassen bekam, spürte er bereits einen Druck, dessen einzige Ursache sein konnte, dass Abel die Spritze in seinen Arm ge­stoßen und den Kolben bereits heruntergedrückt hatte. Kain brüllte bei diesem Gedanken auf, wirbelte umher, riss die Spritze aus seinem Arm und schlug wie besinnungslos auf Abel ein. Erst als dieser zusammen­sackte, realisierte Kain, was er da tat. Plötzlich fühlte er sich so schwach, dass er Angst hatte, er könne in Ohnmacht fallen. Er schaute sich um, alles lief wie ein Film vor seinen Augen ab: Abel lag in einer Ecke, Kain hatte ihn übel zugerichtet. Blut strömte aus seiner Nase, die komisch geknickt wirkte, und sein Kinn lag auf seinem Brustbein. Erst jetzt bemerkte er, dass er den Revolver noch fest umklammert in der einen und die Spritze in der anderen Hand hielt. Die Spritze! Er hielt sie hoch und betrachtete sie näher: Tatsäch­lich war der Kolben nicht mal bis zur Hälfte hinuntergedrückt. Ein Stöhnen seines Bruders ließ ihn aus seinen Gedanken hochfahren. Kain ging zum Schreibtischsessel hinüber und setzte sich, den Revolver und die Spritze immer noch umklammert. Kain legte beide auf den Tisch, schloss die Augen und massierte sie sich mit den Händen. Plötzlich durchzuckte ein stechen­der Schmerz seinen Körper. Er schlug mit dem Ellenbogen nach hinten, Abel stöhnte laut auf, was Kain verriet, dass er ihn mitten in die Magen­grube getroffen hatte. Wieder zog er sich eine Spritze aus dem Arm, dieses Mal hatte sein Bruder nicht die Zeit gehabt, den Kolben herun­ter­zudrücken. Kain stand auf, fasste Abel unter die Arme und schleifte ihn in die von der Tür und vom Tisch am weitesten entfernte Ecke und setzte sich wieder. Er ließ das Geschehene noch einmal vor sich ablaufen: Er war heil angekommen, hatte sich umgeguckt und hatte versucht zurückzureisen, nachdem er sicher sein konnte, dass er im 14. Jahrhundert war, aber die Rück­kop­­p­l­ungs-­­Sicherung, die sicherstellte, dass die Datei, die alle Informationen über Kain enthielt, nicht verloren ging, hatte dies verhindert. Er hatte die nächste Nacht schlaflos in der engen Maschine verbracht. Schließlich war er zu dem Schluss gekom­men, dass das Gegenstück der Rückkopplungssicherung im For­schungs­zentrum manipuliert worden war, was einzig Abel hätte tun können. Kain hatte sich gegen diesen Gedanken gesträubt, ihm war aber nichts anderes übrig geblieben, als ihn zu akzeptieren. Er hatte die Sicherung ausgebaut und war sofort zurückgekehrt, wobei er die Koordinaten für die zweite Nacht nach seinem Verschwinden eingab. Als er dann gehört hatte, wie sein Bruder mit Mary telefonierte, hatte er gleich die unterdrückte Freude in dessen Stimme bemerkt, worauf er sich eingestehen musste, dass Abel ihn wirklich im 14. Jahrhundert gefangen halten wollte. Kain entschloss sich schließlich, seinen Bruder in die Vergangen­heit zu schicken, sodass er selbst dort verschimmeln konnte. Er über­nahm Abels Plan: Er gab seinem Bruder eine Spritze, schleifte ihn in den Keller zu der Maschine und legte ihn hinein. Ohne sich die Koordinaten des Computers anzusehen startete er die letzte Reise seines Bruders und beobachtete die grellen Blitze, mit denen Abel verschwand.[/SIZE]