Silver -
Es war schon weit nach Sonnenuntergang. Die Straßen waren still, aus den meisten Häusern fiel Licht auf die dunklen Gassen. Aus der Schmiede von John Silver war das gleichmäßige Schlagen des Hammers auf Metall zu hören. John stand mit dem Rücken zum Schmiedefeuer und bearbeitete ein Stück Stahl, welches schon große Ähnlichkeit mit einem Schwert hatte. Als John beim Bearbeiten des Metalls kurz inne hielt und aufblickte, sah er seine Frau in der Tür zur Schmiede stehen. Es sah aus, als stünde sie dort schon eine Weile. „Wie lange brauchst du noch, Liebling?“, fragte sie und ging lächelnd auf ihn zu. John wischte sich mit seinem nassen Hemd den Schweiß von der Stirn. „Nun, vielleicht noch zwei, drei Stunden“, antwortete er. „Das Schwert muss bis morgen fertig sein und es muss noch auskühlen.“ Das Gesicht seiner Frau verdüsterte sich. „Mr Most hat dir wirklich nicht viel Zeit gegeben, um ihm ein perfektes Schwert zu schmieden.“ John lächelte: „Das ist doch nichts Neues für mich. Wenn die Leute sich überhaupt etwas von mir schmieden lassen, dann muss ich es in sehr kurzer Zeit perfekt abliefern. Und bisher habe ich es doch noch immer geschafft.“ Marie seufzte: „Und trotzdem hast du nur wenige Kunden. Die können doch nicht immer noch an die Sache von vor fünfzehn Jahren denken.“ Damit meinte sie seine unfreiwillige Karriere als Dieb. John arbeitete damals noch im Kurierdienst. Er reiste quer durchs Land und überbrachte Briefe an reiche Leute (arme Menschen konnten sich einen Kurier nicht leisten). Eines Tages gab ihm ein Mann einen dicken Brief, den er zu dessen Bruder in die nächste Stadt bringen sollte. John dachte sich nichts bei dem dicken Brief und zog los. Als er in die Stadt zurück kam, wo ihm der Mann den Brief gegeben hatte, hatte dieser schon wieder einen neuen, ähnlichen Brief für ihn. Der fremde Mann gab John noch viele weitere solcher Briefe; mal einen, mal zwei oder drei. John ritt bei seinen Wegen immer sein schwarzes Pferd Florian. Florian war immer ein ruhiges und ausgeglichenes Pferd. Eines Tages kam John in eine neue Stadt. Die Wachen am Tor hielten ihm ihre Lanzen entgegen, denn es war schon dunkel und da war es nicht so leicht, das Stadttor zu passieren. John hatte damit gerechnet, aufgehalten zu werden. Doch womit er nicht gerechnet hatte, war Florians Verhalten beim Anblick der Waffen der Wachen. Er stieg und schlug mit den Vorderhufen in die Luft. John konnte sich nur mit Mühe auf dem Tier halten. Dabei ging allerdings die Tasche mit den Briefen auf und die ganze Post segelte zu Boden. Auch der Brief von Mr Unbekannt war dabei. Dieser schlug direkt vor den Füßen der Wachen auf die Steine und platze auf. Und heraus fiel – Geld! Aber nicht nur ein paar wenige Banknoten, sondern mehrere 100-Dollar-Scheine. Im Dreck vor den Toren der Stadt lagen einige 1 000 Dollar! John hatte Florian inzwischen wieder unter Kontrolle und starte entsetzt auf das Geld. Hatte er immer mehrere 1 000 $ mit sich herum getragen? Er konnte es nicht fassen. Er wurde von den Wachen vom Pferd gezerrt und zum Polizeigebäude der Stadt gebracht. Als er denen erzählte, er kenne den Mann nicht, der ihm die Briefe gegeben hatte, wurde er als Lügner abgestempelt. Niemand, weder hier noch sonst wo, glaubte ihm. Doch man konnte John auch nicht nachweisen, wo und ob er das Geld gestohlen hatte. Man musste ihn laufen lassen. Seitdem hat er nie wieder als Kurier gearbeitet. Er begann eine Ausbildung zum Schmied und schon bald hatte er seine eigene kleine Werkstatt, wo er sich der Waffenherstellung widmete. Doch wie Marie bereits sagte, hatte er sehr wenig Kunden. „Tja, so einen Skandal vergessen die Leute nicht so schnell. Immerhin war ich ein angesehener Kurier.“ „Eben!“ John wollte das Thema wechseln und fragte deshalb: „Wo ist Alejandro?“ „Er ist bei Florian, glaube ich.“ „Ich habe ihm doch schon tausendmal gesagt, er soll nicht allein in den Stall“, schimpfte John, band seine Schürze ab und marschierte aus der Schmiede hinüber zum Stall. Dort fand er Alejandro, der sich auf eine Kiste gestellt hatte, um das Pferd besser streicheln zu können. Als er seinen Vater kommen sah, sprang er schnell von der Kiste herunter. „Alejandro!“, rief John. „Wie oft muss ich dir noch sagen, du sollst dich ohne Begleitung Florian nicht nähern. Sieh doch, wie groß er ist.“ Der kleine Junge sah zu den Augen des Pferdes hoch. Florian schnaubte. „Komm!“, forderte John seinen Sohn auf und streckte ihm die Hand entgegen. „Kommst du mit ins Haus?“, fragte Alejandro. „Tut mir Leid, aber ich muss noch etwas beenden.“ John fuhr ihm durch die blonden Locken. Diese hatte Alejandro von seiner Mutter geerbt. >Gott sei Dank<, dachte John und fuhr sich dann durch sein eigenes schwarzes schulterlanges Haar. >Sonst könnte man uns gar nicht mehr auseinander halten.< John lachte. Es gefiel ihm, dass sein Sohn mit gerade mal sechs Jahren schon so aussah wie sein Vater. Doch machte es ihn auch stolz, dass er die schönen blonden Haare von Marie hatte. Alejandro kehrte allein ins Haus zurück und John ging wieder in seine Schmiede. Erst drei Stunden später war John mit seiner Arbeit fertig und zufrieden. Das Schwert sah genau so aus, wie Mr Most es sich wünschte. John räumte schnell alles Werkzeug auf, löschte das Feuer und trat hinaus in die erfrischend kühle Herbstluft. Er atmete tief durch und schlenderte hinüber zum Wohnhaus. Als er zur Tür hereinkam, fiel ihm auf wie ruhig es war. >Komisch<, dachte der Schmied. >Marie liest doch immer bis ich komme.< Doch nirgendwo brannte Licht. John lugte in die Kammer seines Sohnes. Alejandro schien zu schlafen. Doch was war das? Ein Zettel lag vor Alejandros Bett, der bestimmt nicht dorthin gehörte. John schlich in die Kammer, um Alejandro nicht zu wecken. Er hob den Zettel auf und warf einen Blick aufs Bett. Doch das Bett war leer! Kein Alejandro schlief dort in die Kissen gekuschelt. John stürzte in seine und Maries Kammer. Hier war auch niemand. John durchsuchte alle Zimmer des kleinen Hauses. Nichts! Er rannte in den Stall. Florian schreckte auf, als John die Tür auf riss. John drängelte sich an Florian vorbei und durchsuchte auch den Stall. Wieder nichts! John stand im Stall und fühlte sich ganz hilflos. Wo waren seine Frau und sein Sohn? Florian kam und stupste ihn an. John streichelte seine Stirn. Schlagartig fiel ihm der Zettel ein, den er vor Alejandros Bett gefunden hatte. Nun holte er ihn aus der Hosentasche. Er riss ein Streichholz an und starte auf das Papier. Es dauerte eine Weile, bis er begriff was dort stand. Der Text war mit Kohle geschrieben und der Schreiber konnte wohl nicht sehr lange Schreiben gelernt haben. >Der schreibt schlimmer als Alejandro<, war Johns erster Gedanke. Dann konzentrierte er sich wieder auf die Schrift. Wir haben Frau und Sohn Bring unser Geld Kurir: 100 000 $! In 3 Tagen auf Lichtung „Welche Lichtung?“, fragte John verwirrt. Es gab viele Lichtungen in der Umgebung. Florian stupste das Papier an und starrte auf die Rückseite. John drehte das Blatt um. Darauf war eine genaue Skizze des Waldes, der gleich hinter der Schmiede begann (die Schmiede war ebenfalls mit eingezeichnet). Ein Pfad führte durch den Wald zu einer Lichtung, die fast genau in der Mitte lag. John kannte die Lichtung. Er hatte dort schon öfter mit Alejandro gespielt oder mit Marie die Sterne beobachtet. Doch woher sollte er in drei Tagen 100 000 Dollar bekommen? Denn es war klar, wer diese Leute waren und warum sie so viel Geld wollten. 100 000 $ - soviel hatte man damals bei John gefunden, als er eines Bankraubes bezichtigt wurde. 100 000 $ lagen damals vor ihm im Schmutz. Vor fünfzehn Jahren. Doch warum jetzt? Warum hatten die Ganoven so lange gewartet? John grübelte eine Weile darüber nach. Florian wieherte „Ist doch egal“, sagte John laut und drehte sich zu Florian um. „Irgendwie muss ich an die 100 000 Dollar herankommen, sonst sehe ich Marie und Alejandro womöglich nie wieder.“ Bei dem Gedanken zog sich ihm das Herz zusammen. Doch woher so viel Geld nehmen? Diese Frage stellte sich ihm immer wieder. Es klauen? Dann war er nicht besser als die Entführer und außerdem machte er sich dann wirkliche strafbar. Und wenn er versuchte, Marie und Alejandro zu befreien? Doch wie? Sein Blick wanderte an Florian vorbei zum Fenster. Vom Stall aus konnte man die Schmiede sehen. Ein Plan begann in Johns Kopf zu entstehen. Sein Blick fixierte sich wieder auf Florian. Und plötzlich hatte er den perfekten Plan. John stürmte aus dem Stall ins Wohnhaus. Er riss Maries Truhe auf und begann zu wühlen. Marie nähte gern und so war hier sehr viel Stoff drin. Da Marie helle Farben liebte, waren diese im Überfluss vorhanden und lagen obenauf. John musste lange wühlen, bis er eine lange schwarze Stoffbahn ganz unten aus der Truhe zog. Dann schnappte er sich noch den kleinen Rest von einem blutroten Stoff und brachte alles zum Bett. Die ganze Nacht maß, schnitt und nähte John. Er war sehr erstaunt darüber, wie gut er das hin bekam. Schließlich hatte er noch nie eine Nadel in der Hand gehabt. Als der Morgen graute war John fertig. Er betrachtete sein Werk. Dann ging er zu seiner Kleidertruhe, zog daraus ein rotes T-Shirt hervor, eine schwarze Hose und ein schwarzes Hemd. John zog sich alle alten und neu genähten Sachen an und betrachtete sich in einem großen Spiegel: Er trug eine schwarze Hose und ein rotes T-Shirt. Darüber ein Hemd, so dass man das T-Shirt oben heraus schimmern sah. Über dem Ganzen trug er einen schwarzen Umhang, der ihn im Wald hoffentlich so gut wie unsichtbar machte. John band sich noch den Rest vom roten Stoff wie ein Piratentuch um den Kopf. Er erkannte sich selbst kaum wider. Er lächelte. „Es kann losgehen“, sagte er leise. Schnell packte er sich in der Küche etwas Proviant zusammen, schnappte sich noch eine Decke und eilte aus dem Haus. Das Gepäck stellte er vor dem Stall ab und lief in die Schmiede. Es war immer noch sehr warm hier drin. John griff nach dem fertigen Schwert von Mr Most. Dann fiel sein Blick auf den Schmiedehammer. Kurzer Hand nahm er diesen ebenfalls mit. In Maries Truhe hatte er auch festes Leder gefunden, woraus er sich eine Gürtel und eine provisorische Scheide genähte hatte. Den Gürtel hatte er schon umgebunden. Nun ließ er das Schwert vorsichtig in die Scheide gleiten. „Hoffentlich hält sie“, murmelte John. Er ging zurück zum Stall, packte das Gepäck und öffnete vorsichtig die Tür. Er wollte Florian nicht wieder erschrecken. Es dauerte fast eine Stunde, bis er Florian fertig geputzt, gestriegelt und gesattelt hatte. Er hatte gestern nicht daran gedacht, den Stall auszumisten und Florian hatte sich in der Nacht wohl ziemlich im Stroh gewälzt. „So schmutzig habe ich dich noch nie gesehen“, sagte John zu dem schwarzen Hengst, während er ihn putzte. Endlich war alles fertig. Das Pferd glänzte, dass es selbst für einen König gut genug wäre. Das Gepäck war fest gezurrt und John konnte aufsitzen. Mit einem letzten Blick zur Schmiede und zum Wohnhaus ritt er in den Wald. John ritt nicht auf dem Pfad. Die Gefahr entdeckt zu werden war zu groß. Er schlug sich rechts des Weges durch das Unterholz. Er kam nur mühsam voran, doch hatte er es auch nicht eilig. Am Mittag machte er in einer Senke Rast. Florian konnte Gras fressen und John aß einen Teil seines Proviants. Nach einer kurzen Rast ging es weiter. Am späten Nachmittag, als es langsam dunkel wurde, erreichten sie die Lichtung. John sah sich vorsichtig um. Niemand war zusehen. John suchte für sich und Florian ein sicheres und geschütztes Versteck. Schon bald fand er eine Höhle, die groß genug für sich und sein Pferd war. Er konnte die Lichtung gut überblicken, ohne selbst gesehen zu werden. Schließlich brach die Nacht herein und John konnte gar nichts mehr sehen. Er wickelte sich in seine Decke und schloss die Augen. Kurz darauf war er eingeschlafen. John wurde von einer strahlenden Herbstsonne geweckt, die genau auf sein Versteck schien. Florian war schon wach. John trat aus der Höhle und sah sich um. Bei Tageslicht ließ sich nun auch die Umgebung um die Lichtung herum erblicken. John seufzte. Er ahnte, dass er einen schweren Tag vor sich hatte. Nach einem knappen Frühstück begann er die Lichtung und den Wald näher zu erkunden. Er überlegte angestrengt, wie er den Entführern eine Falle stellen könnte. Sein erster Gedanke war eine Art Fallgrube auf dem Weg auszuheben und sie mit Zweigen zu bedecken. Doch es gab mehrere Wege, die auf die Lichtung führten und er wusste nicht, auf welchem seine Feinde kamen (er nannte sie inzwischen „seine Feinde“). Außerdem kamen oft Spaziergänger auf die Lichtung. Wie sollte der denen erklären, was er hier machte? Das größte Problem aber war: Womit hätte er graben sollen? Also verwarf er die Idee wieder. John vermutete, dass die Entführer erst am dritten Tag, wenn es dunkel wurde, auf der Lichtung erscheinen würden. Doch sicher konnte er sich nicht sein. Auch wusste er nicht, wie viele Männer erscheinen würden. Zwei, drei? Oder noch mehr? Hoffte er, sich einfach Marie und Alejandro schnappen zu können, auf Florian zu springen und weg zureiten? Die Entführer hatten vielleicht auch Pferde und Florian würde sie alle drei sicher nicht lange tragen können. John musste zumindest ein Versteck in der Nähe suchen. John suchte also nach einem Versteck, doch bis auf die Senke, in der er am Vortag Rast gemacht hatte, fand er nichts. Wenn sie den Räubern aus dem Blickfeld verschwanden und unbemerkt in die Senke kamen, hatten sie eine Chance. Er hoffte, Florian würde bis dahin durchhalten. Wo war Florian überhaupt? John eilte zur Lichtung zurück. Die Sonne schien nun von oben senkrecht auf den Waldboden. Florian stand immer noch nicht weit von der Höhle entfernt angebunden und döste vor sich hin. John lächelte. Wie hatte er dieses Bild in den letzten fünfzehn Jahren vermisst: Florian friedlich in einem Wald, er selbst emsig bei der Arbeit. John seufzte. Ein Bildnis, das sich ihm so bald nicht wider bieten würde. John entschied sich, in seiner Höhle auf die Entführer und seine Familie zu warten. Er würde den passenden Zeitpunkt abwarten, Marie und Alejandro schnappen und mit ihnen auf Florian davon galoppieren. Wenn alles klappte. John beschloss, sich für den Rest der Tages mit Schwert und Hammer vertraut zu machen. Doch erst musste er etwas essen. Viel konnte er nicht zu sich nehmen, wenn er am nächsten Tag nicht mit knurrenden Magen auf der Lauer liegen wollte. Nach dem kargen Mahl begann er sein Training. Es war schon eine Weile her, seit er ein Schwert geschwungen hatte. Damals, als Kurier, hatte er immer eine Waffe bei sich getragen, doch zum Glück nur selten Gebrauch davon gemacht. Nun musste er sich erst wieder an die Handhabung gewöhnen. Den Hammer zu schwingen war sehr schwierig. Er hatte ja bisher nur auf Stahl geschlagen, aber noch nie mit ihm sein Leben verteidigt. Die Sonne begann, sich dem Horizont zu nähern. John war nass geschwitzt. Umhang und Hemd hatte er schon vor einer Weile ausgezogen, doch das T-Shirt klebte an seinem Oberkörper wie eine zweite Haut. Auch die Hose war total verschwitzt. John zog sich ein dünne Hose und einen Pullover an und breitete seine nassen Sachen auf einem noch warmen Stein aus. Er hatte großen Hunger, doch hielt er sich zurück. Er musste sich immer wieder daran erinnern, dass er noch einen ganzen Tag hier draußen sein würde. Nun, morgen würde er nicht zum Üben kommen. Er würde den ganzen Tag in seiner Höhle sitzen und auf seine Feinde warten. Vorm Einschlafen ging er seinen Plan nochmals durch. Florian erzählte er, was dieser tun müsste. Florian hörte aufmerksam zu, doch ob er ihn verstand wusste John nicht. Unruhig schlief er ein. Am nächsten Tag, der dritte und letzte Tag, war er vor Sonnenaufgang munter. Rasch zog er wieder seinen schwarzen Umhang über und band sich das rote Tuch um den Kopf. Dann wagte er sich in den Wald, um nach Beeren zu suchen. Zum Glück war Herbst und so fand er auch einige essbare Dinge; Wurzeln, Beeren und Pflanzen. Nicht sehr viel, doch mit dem Rest seines Proviants würde es für den Tag reichen. John richtete sich in seiner Höhle auf einen langen Tag ein. Florian verstand nicht, warum er nicht hinaus durfte, um das frische grüne Gras zu fressen. John tat es Leid, dass er ihn nicht hinaus lassen konnte. Er konnte es nicht riskieren, entdeckt zu werden. Der Fremde würde sich sicher auch nach fünfzehn Jahren noch an das Pferd des Kurierreiters erinnern. Um Florian aufzuheitern gab John ihm Möhren und Äpfel. Die Sonne wanderte über den Himmel. Bald schon schien sie senkrecht auf die Lichtung. Dann zog sie weiter. Langsam senkte sich die Dämmerung über den Wald. Es wurde windig. Die alten Bäume um die Lichtung ächzten. Heute Nacht würde es keinen Mond und keine Sterne geben. >Das ist gut<, dachte John. >So kann man uns nicht so leicht folgen. Doch auch wir könnten Schwierigkeiten haben. Wenn wir die Senke verfehlen...< Plötzlich richtete John sich alarmiert auf. Auch Florian blickte interessiert zum Höhleneingang. Auf einem der Wege, die auf die Lichtung führten, bewegte sich etwas. Da es so dunkel war, dauerte es eine Weile, bis John etwas erkannte. Dann sah er mindestens sieben Leute auf die Lichtung heraustreten. Er schluckte. Einer der Menschen war sehr klein. Alejandro. Auch Marie war leicht zu erkennen. Trotz der sternen- und mondlosen Nacht sah er ihr Haar leuchten. Er musste blinzeln, um wieder klar sehen zu können. Marie und Alejandro waren nicht gefesselt, soviel konnte er erkennen. Er versuchte die Männer zu zählen, doch da diese auf der ganzen Lichtung durcheinander liefen, war es sehr schwierig. Schließlich konnte er fünf Personen unterscheiden. John war sich nicht sicher, ob sein Plan wirklich funktionieren würde. Mit so vielen Männern hatte er nicht gerechneten. Marie und Alejandro wurden zum Rand der Lichtung gezerrt und von zwei Männern bewacht. Die anderen drei sahen sich weiter auf der Lichtung um und spähten in den dunklen Wald. Die Minuten zogen sich dahin. John sah schließlich ein, dass er an einem offenen Gefecht nicht vorbei kam. Er überlegte, wie er sich am sichersten zeigen könnte. Er schlich um die Lichtung zu der Stelle, wo sein Sohn und Marie standen. Florian ließ er in der Höhle. Er war nur noch zwei Schritte von den Wachen entfernt, da trat er auf einen Zweig. Einer der Wächter sah sich um und John genau ins Gesicht. John sprang vor und schlug ihm die der Faust so hart ins Gesicht, dass der Mann zu Boden ging. Der zweite Wächter schrie und stützte sich auf John. Marie reagierte blitzschnell: sie stellte dem Mann ein Bein und dieser fiel der Länge nach hin. Da John keinen Menschen töten könnte, brach er ihm mit einem gezielten Schlag seines Hammers ein Bein und den rechten Arm. Dabei fühlte er sich alles andere als wohl. Die drei Männer auf der Lichtung hatten den Schrei ihres Kameraden gehört und stürmten mit gezückten Waffen auf die Familie zu. John schob Alejandro hinter sich, doch Marie griff sich einen starken Ast vom Waldboden und schlug damit auf den ersten Angreifer ein. Dieser ging auch schnell zu Boden. John hatte unterdessen alle Hände voll zu tun, sich die anderen zwei vom Leib zu halten. Er schwang Schwert und Hammer und die Angreifer wichen zurück. John wurde der Hammer immer schwerer, seine Schläge immer träger. Das nutzten seine Gegner und griffen ihn von links an. Der erste Schwertstreich ging daneben, doch der zweite zerfetzte sein Hemd und schnitt ihm in den Oberarm. Blut floss über seinen Arm. Als die erschöpfte Marie das sah, sprang sie mit einem Wutschrei vor und schlug den Mann, der ihren Retter verletzt hatte, so hart mit dem Knüppel in die Rippen, dass dieser zerbrach. Und dem Geschrei des Getroffenen zufolge, nicht nur der. Nun war nur noch einer übrig. Dieser sah sich einem erschöpften Mann mit Schwert und Hammer gegenüber und einer wütenden unbewaffneten Frau. Doch sah er auch den kleinen Jungen, der sich langsam und unsicher näherte. Der Räuber täuschte einen Angriff auf das Ehepaar vor und stützte sich auf den Jungen. Marie entriss John das Schwert und schleuderte es dem Mann zwischen die Beine. Dieser strauchelte und stützte. John sprang vor, hob sein Schwert auf und hielt es dem Mann an die Kehle. „Wage es nie wieder meinen Sohn an zufassen!“, knurrte er. Der Mann sah entsetzt zu ihm hoch. John wandte sich an Alejandro: „Dort hinten ist eine Höhle.“ Er zeigte hin. „Dort steht Florian und mein Gepäck ist auch dort. Bei dem Gepäck ist ein Seil. Bring das Seil und Florian hierher.“ Alejandro nickte und lief los. John wandte sich an Marie, ohne das Schwert von der Brust des Mannes zu nehmen. Sie sahen sich an. „Danke“, sagten sie gleichzeitig und lachten. Hinter sich hörte John ein Wiehern. Er drehte sich um und sah seinen kleinen Alejandro auf seinem schwarzen Hengst Florian über die Lichtung traben. Als sie bei ihnen ankamen, hob er Alejandro vom Pferd und rückte ihn an sich. Dann nahm er das Seil und zusammen mit Marie fesselten sie die fünf Männer. „Ich reite jetzt in die Stadt und hole die Polizei“, erklärte John. „Ihr bleibt hier.“ Er gab Marie sein Schwert und vertraute Alejandro sein Gepäck an. Dann schwang er sich in den Sattel und galoppierte durch die Nacht. Die Wolken verzogen sich, der Mond kam zum Vorschein und erhellte den Weg. John ritt nun auf dem Hauptweg. So kam er bald darauf in die Stadt. Er ritt zum Polizeigebäude, saß ab und stürmte hinein. Es dauerte eine Weile, bis die Polizisten ihm seine Geschichte glaubten; doch schließlich kamen sie mit. Als die Dämmerung nicht mehr fern war, kamen sie auf die Lichtung. Alles war so, wie John es zurückgelassen hatte. Nun ja, nicht ganz alles: Alejandro schlief, mit dem Kopf im Schoß seiner Mutter. Zwei Tage später kam Mr Most, um nun endlich sein Schwert abzuholen. „Und das ist also das Schwert, mit dem sie ihre Familie befreit haben“, erkundigte er sich ehrfurchtsvoll, während er die Waffe aus der Scheide zog. „Ja, das ist es“, bestätigte John. „Und die Scheide hat meine Frau angefertigt“, fügte er hinzu. „Ich weiß den perfekten Namen für das Schwert“, sagte Mr Most. John hob eine Augenbraue. „Silver.“ Ja, für John, seine Frau und seinen Sohn hatte sich einiges geändert. Nachdem die Räuber den Banküberfall von vor fünfzehn Jahren gestanden hatten, war John wieder ein angesehener Bürger. Er hatte nun viele Kunden und konnte mit Liebe und ohne Zeitdruck seiner Arbeit nachgehen. Sein Sohn ging in die Schule und seine Frau arbeitete als Schneiderin. Es hatte sich wirklich viel geändert. Nun stand John in seiner Schmiede, dachte an das Abenteuer zurück und als er an seine Waffe dachte, ohne die er seine Familie verloren hätte, murmelte er: „Silver.“