1. Die drei Mädchen - -
 In einer kleinen Stadt namens Wieseneck wohnten einst drei Mädchen. Robin Gaye war ein ruhiges und besonnenes Mädchen. Sie hatte lange, blonde Haare und blaue, liebevolle Augen. Viele sagten, dass Robin für ihr Alter viel zu ernst wäre, doch ihre Freundinnen störte das nur selten. Mit ihrer Ruhe brachte sie die zwei Anderen meist auf den Boden der Tatsachen zurück. Chiris Kurrar war von den Dreien diejenige, die um die Ecke denken konnte, alles hinterfragte und damit die positiven wie auch negativen Seiten entdeckte. Sie hatte dicke, braune Haare und fast schwarze Augen. Ihre Vorfahren kamen aus Amerika, hatte sie mal erzählt. Das erklärten bei ihr wohl dann auch die indianischen Gesichtszüge und die dunkle Haut. Mit ihrem instinktiven Handeln lag sie meist richtig, was sie zu einer guten Ratgeberin machte. Die Letzte von den Dreien war wohl die Verrückteste von ihnen. Sie hatte rote Haare und braune Augen. Gerade diese Augen waren das faszinierendste an ihr. Wenn sie einen ansah, hatte man das Gefühl, das sie tief in die Seele blicken konnte. Ihr freundlich, fröhlich, freches Wesen war ansteckend und alle hatten sie gern. Nur in ganz seltenen Momenten wirkte sie auf eine gewisse Weise abwesend als wäre sie weit weg mit ihren Gedanken. Ihr Name war Alina Sorey. Diese drei Mädchen hatten so unterschiedliche Charaktere, dass jeder denken musste, sie würden nie und nimmer zusammenpassen. Robin war die Ruhe in Person, Chiris die Albernste und Alina die Temperamentvollste. Doch gerade diese Drei hatten zusammengefunden und waren die besten Freundinnen geworden. Sie gingen gemeinsam in die Schule und hatten es sogar geschafft, ihre Bänke so zusammenzustellen, dass sie nebeneinandersaßen. Sie hatten den Lehrer so lange belagert und ihm klar gemacht, dass so, wenn sie getrennt auf unterschiedlichen Bänken weit voneinander weg sitzen würden, nur noch mehr Unruhe im Raum entstehen würde. Das hatte der Lehrer nämlich in den ersten Schultagen versucht und es war mächtig schiefgegangen. So durften sie ihre Bänke zusammenrücken und saßen von da an immer zusammen auf ihrer Dreierbank. Auch in den Pausen waren sie immer zusammen. Sie waren der Schrecken der ganzen Klasse, denn keiner konnte sich sicher sein, dass ihm nicht ein Streich gespielt wurde. Nicht einmal vor den Lehrern machten sie Halt, wobei sie allerdings immer darauf achteten, dass ihre Streiche lustig waren und keinem schadeten. Wenn die Schule aus war und der Lehrer die Schüler entließ, gingen die drei unzertrennlichen Freundinnen gemeinsam nach Hause. Ihr Weg führte meist über die langen Treppen, hinter der Freilichtbühne entlang, zum äußeren Stadtrand, wo sie in der gleichen Straße wohnten. Früher sah es jedoch ganz anders aus. Was heute Freunde sind, waren vor einigen Jahren noch Unbekannte. Robin stand am ersten Tag immer für sich und wagte es kaum den Blick zu heben. Ihre Ernsthaftigkeit half ihr nicht, wirklich Freunde zu finden. Chiris wurde wegen ihres Aussehens immer gemieden. Wer kennt sie nicht diese Voreingenommenheit, die in vielen Dörfern Alltag ist? Chiris war neu hinzugezogen und kannte keinen. Einzig Alina war gut Freund mit allen Kindern in der Schule. Ihr fragt sicher, wie es kam, dass diese doch sehr verschiedenen Mädchen Freundinnen wurden?! Eines Tages machte die ganze Klasse einen Ausflug in die Berge. Sie wollten eine Tropfsteinhöhle untersuchen, die erst kürzlich eröffnet worden war. Die Kinder wurden in Gruppen eingeteilt und in die Höhle geschickt. Man kennt es ja, wenn Sachen neu sind, dass sie noch nicht so ausgereift sind und so geschah es, dass Robin von einem schmalen Pfad abrutsche, an dem die Halteseile scheinbar nur lose angebracht worden waren. Sie schlug nicht gerade sanft auf der Wasseroberfläche auf und schrie verzweifelt um Hilfe. „Du lieber Himmel, sie kann doch nicht schwimmen!“, rief da Alina aus, und während alle anderen Kinder aus der Gruppe wie panisch umherliefen, reagierte Chiris instinktiv und sprang Ihr hinterher. Wie ein Aal schwamm sie zu Robin und zog sie wieder über Wasser. Verbissen kämpfte Chiris gegen die nassen Kleider und die Strömung an, um Robin ans Ufer zu bringen, doch außer steilen Wänden gab es nichts, woran man sich festhalten konnte. Alina oben auf dem schmalen Pfad war nicht faul und scheuchte eine jüngere Mitschülerin zum Eingang zurück, damit sie einen Erwachsenen holte. Danach machte sich Alina an dem Halteseil zu schaffen und zog es nach kurzem Ziehen aus den Wandringen heraus. Kein Wunder, dass jemand abstürzen musste. Eine Seite befestigte sie danach wieder in der Wand und ließ das andere Ende zu den zwei Mädchen hinunter. „Haltet euch daran fest!“, rief sie hinunter, „es kommt gleich Hilfe! Haltet durch!“ Chiris hatte Alinas Ruf durch das Rauschen des Wassers gehört und zog das Seilende unter Robins Armen durch, um sie zu sichern. Chiris wurde langsam müde. Das Wasser zerrte an ihren Kräfte und Robin war schon kaum noch bei Bewusstsein. Gerade, als Chiris beinahe losgelassen hätte, gab es einen mächtigen Platscher neben ihr und triefnass tauchte Alina neben ihr auf. Diese fackelte nicht lang und schlang ihre Arme um Chiris, um diese zu halten. Wenn man dort unten ist, in diesem eisigen Wasser, erscheint einem die Zeit endlos und die zehn Minuten, die seit Robins Absturz vergangen waren, verwandelten sich zu gefühlten Stunden. Die Drei wurden wenig später aus dem Wasser gefischt, und wie es meist mit solchen Momenten ist, so verband sie seit damals ein inniges freundschaftliches Verhältnis. Gemeinsam bestandene Gefahren verbinden.