4. Melian von und zu Fantast - -
 Das Geschöpf war nur halb so groß wie sie und trug eine merkwürdige Kleidung. Er hatte rote Haare, die in Büscheln unter einem dreieckigen Hut hervor standen. Ein grünes Wams und ein breiter brauner Gürtel hoben seinen kugelrunden Bauch hervor. Seine Beine steckten in ebenfalls grünen Hosen und seine Schuhe liefen vorne spitz zu. So stellt man sich wohl heutzutage einen irischen Wichtel vor. Als die Mädchen fertig mit ihrer Musterung waren und dem Männchen wieder in die Augen sahen schaute es sie erleichtert an. „Endlich habt ihr mich bemerkt“, rief es mit einer tiefen melodiösen Stimme aus, „ich habe schon seit gestern versucht mit euch Kontakt aufzunehmen und es hat ja auch teilweise geklappt“. „Wie ... wie meinst du das?“, fragte Robin, überrascht über ihren eigenen Mut. „Na, gestern im Wald, aber ihr seid dann einfach weitergegangen. Ich wollte euch warnen! Ein großes Unglück ist über eure Stadt gekommen.“ „Wovon sprichst du?“, fragte Alina forsch. „Jetzt sagt mir nicht, dass ihr es noch nicht bemerkt habt? Dinge, die sich von einem Moment auf den anderen ändern. Personen, Wetter, Farben?“ „Nein, das heißt doch!“, lenkte Alina zögernd ein, „unsere Familien haben sich sehr komisch benommen, auch in der Schule war es so, und keiner hat den Sturm gestern bemerkt, außer uns Dreien …“ „Ja, eben, das meine ich ja“, sprach das Männchen aufgeregt. „Es ist … als wenn jemand ihnen ihre Ideen weggenommen hätte. Als ob ...?“, fragend sah sich Chiris zu den anderen um. „Als ob jemand ihnen ihre Fantasie genommen hätte, meinst du?“, fragte das Männchen. Chiris sah das Männchen fragend an, und als ob ihr ein Gedanke gekommen wäre, nickte sie. "Ja, das meine ich.“ „Meintest du das auch gestern im Wald?“, fiel Robin ein. „Der Menschen größter ...“ „Genau, das meine ich.“ „Moment mal!“, erwiderte Alina, „wir reden hier über die Fantasie und Veränderungen, doch wer du bist und woher du kommst, das hast du uns noch gar nicht gesagt. Dabei bist du doch das Ungewöhnlichste, was uns seit einigen Tagen passiert ist.“ So erzählte er, dass er aus der Fantasiewelt Karmenik kam und er der Wächter ihrer Fantasie sei. „Herr der Fantasie, Wanderer der Welt, Vater der Ideen, Herr Melian von und zu Fantast“, so hieß er. „Doch ihr könnt mich Melian nennen.“ Er erzählte weiter, dass ein böser Geist namens Hurin die Fantasie aus dem Dorf gestohlen, sie in drei Teile zerrissen und in drei verschiedene Welten geworfen hätte. Auch kündigte er an, dass die Fantasie für die ganze Stadt auf immer verloren wäre, wenn sie nicht binnen neun Tagen gefunden und wieder hierher gebracht werde. Alina, Robin und Chiris hatten sich mittlerweile hingesetzt und hörten ihm aufmerksam zu. „Aber wie kommt es, dass wir drei noch normal sind, dass wir unsere Fantasie noch haben?“, fragte Robin. „Das kommt daher, dass ihr draußen im Wald wart und außerhalb seiner Reichweite gewesen seid. So konnte euch sein Zauber nichts tun. Ihm ist ein Fehler unterlaufen, müsst ihr wissen, vielleicht habt ihr ihn schon bemerkt?“ „Ich denke schon“, sprach Chiris. „Ihm sind sogar mehrere Fehler unterlaufen. Sein erster Fehler war, dass er nicht darauf geachtet hat, dass alle Leute im Dorf waren, denn wir waren ja draußen. Sein zweiter Fehler bestand darin, dass er den Sturm nicht auch im Dorf erzeugt hat. So konnten wir feststellen, dass etwas nicht stimmte, richtig Melian?“ „Stimmt genau“, erwiderte dieser. „Das ist ja alles schön und gut aber was können wir tun, um an die drei Teile heranzukommen? Du sagtest ja, dass sie in unterschiedlichen Welten sind.“ Ihre Freundinnen sahen sie erstaunt an, aber Melian sah sie sehr nachdenklich an. Er freute sich, dass die Drei ihm so bereitwillig helfen wollten. Dann sprach er, dass es Schlüssel gäbe für die Welten, aber sie müssten sie erst finden. Er wusste nur, dass diese Schlüssel die Namen Idee, Mut und Wagnis trugen und dass sich diese in ihrer Nähe befanden. Auch mussten sie an besonderen Orten sein, denn er war ja auch durch einen dieser Schlüssel zu ihnen gekommen. „Vielleicht müssen wir zu der Stelle zurück, an der du in unsere Welt kamst? Vielleicht gibt es dort noch einen Durchgang?“, überlegte Chiris laut. „Das ist es, versuchen wir es!“, rief Melian entzückt aus.