Annele, Slytherin zu Sahne - -
  Der 11. Geburtstag „Mama, Mama, wach endlich auf!“ Rita öffnete schlaftrunken die Augen. Ihr Jüngster, Konrad, stand im elterlichen Schlafzimmer und versuchte, seine Eltern zu wecken. „Mama, Papa – ich habe doch heute Geburtstag! Mein elfter Geburtstag!“, sagte Konrad mit einem vorwurfsvollen Unterton in der Stimme. Das wirkte und mit leichtem Schuldbewusstsein richtete sich Rita auf: „Alles Gute, mein Schatz! Geh’ schon mal runter, ich komme gleich nach und dann gibt’s ein Extra-Geburtstags-Frühstück.“ Konrad verschwand freudestrahlend, jedoch wohl nicht in Richtung Küche, vermutete Rita, sondern eher in die Zimmer seiner Geschwister Sarah und John, um diese auch aus den Federn zu schmeißen. Rita zog sich schnell an und sprach dann zu ihrem Mann Bernardo, der sich vergebens schlafend stellte: „Auf, auf, keine Müdigkeit vortäuschen!“ Dann ging sie die Treppe hinunter in die Küche, um das Frühstück zu zaubern. Mit Zauberstab und Elektroherd ging das ganz fix und als kurz darauf alle drei Kinder sowie ihr verschlafener Ehemann die Küche betraten, dampften auf dem Esstisch bereits Platten mit Rührei, Bohnen und Würstchen sowie, zur Feier des Tages, Pfannkuchen mit Himbeeren. Die drei Kinder stürzten sich scheinbar halb verhungert darauf, als hätten ihre Eltern ihnen den Tag zuvor nichts zu essen gegeben. Rita und Bernardo lächelten sich über die Köpfe ihrer Kinder hinweg an: ‚Raubtiere in der Wachstumsphase’ schienen ihre Blicke zu sagen. Nachdem jedoch der erste Hunger gestillt war, wanderten Konrads Augen immer wieder zum Fenster. Schließlich fragte er die Runde: „Was glaubt ihr, wann kommt meine Eule?“ Rita schluckte und schrieb ihr flaues Gefühl in der Magengegend dem Hunger zu. Sarah, die im letzten Jahr in Hogwarts eingeschult worden war, antwortete: „Also bei mir war die Eule nach dem Frühstück da, sie müsste also bald kommen.“ John dagegen wandte ein: „Nun, die Eule hat einen recht weiten Weg von Hogwarts bis zu unserem Castello del Serpente. Meine Eule kam ja erst nachmittags an.“ „Ja, aber du warst auch der Erste, bei mir wussten sie schon, dass sie die Eule früher losschicken müssen,“ entgegnete Sarah. In diesem Dreh ging es das ganze Frühstück über weiter. Die Eltern lächelten still, doch Ritas flaues Gefühl wich auch dann nicht, als sie längst satt und das Frühstück beendet war. „Vielleicht wartet die Eule ja bereits in meinem Zimmer“, rief Konrad nach dem Frühstück und rannte sofort hoch. Wenig später war er wieder unten: „Immer noch keine Eule.“ Die Enttäuschung in seiner Stimme war deutlich hörbar. „Na komm, Sohnemann, pack’ erst einmal deine Geschenke aus“, versuchte Bernardo ihn aufzumuntern. Konrads Miene hellte sich auf und er lief in das Wohnzimmer, wo der Gabentisch bereits aufgebaut war. Die nächste halbe Stunde verging wie im Flug und für Ritas Geschmack viel zu schnell. Konrad packte glücklich seine Geschenke aus: Ein neuer Umhang für sein erstes Hogwartsjahr, ein Fan-Shirt seiner Lieblingsmannschaft Puddlemere United sowie ein Sauberwisch 13 ließen für kurze Zeit die noch fehlende Hogwartseule vergessen. Doch auch einige Bücher (Die Geschichte Slytherins neu erzählt, Magic Mouse und das Geheimnis der Kristallkugel) und ein besonders schönes Zauberschachset befanden sich unter Konrads Geschenken. Kaum hatte Konrad jedoch alles ausgepackt, da lief er zur Tür und sah nach, ob die Eule dort vielleicht einen Brief abgelegt hätte. Sein Gesichtsausdruck, als er in das Wohnzimmer zurückkehrte, war Antwort genug. „Lass’ uns doch gleich mal deinen neuen Besen ausprobieren,“ forderte Bernardo seinen Sohn auf. Konrad schnappte sich den Besen und gemeinsam mit seinen Eltern ging er in den Garten, von dem ein Teil durch Zauber so geschützt war, dass Muggel ihn nicht sehen konnten, sofern man nicht zu hoch flog. Bisher hatte Konrad nur mit seinen Eltern fliegen dürfen. Nun war er ganz aufgeregt ob der Aussicht, endlich alleine auf einem Besen – noch dazu seinem eigenen – sitzen zu dürfen. „Leg’ den Besen auf den Boden, stell’ dich daneben und streck’ die rechte Hand so aus, dass sie genau über dem Besenstiel verweilt. Dann sagst du „Up!“ und der Besen fliegt in deine Hand“, erklärte Konrads Vater dem Jungen. Dieser tat wie ihm geheißen, streckte die Hand aus und sprach: „Up.“ Der Besen regte sich nicht. „Du musst die Hand genau senkrecht über den Besen halten und sprich energischer“, korrigierte ihn Bernardo. „Up!“, sagte Konrad mit Nachdruck. Wieder geschah nichts. Bernardo ging zu seinem Sohn: „Ich zeig es dir – up!“ Der Besen sprang in Bernardos Hand. „Siehst du? Es ist ganz einfach, du musst es nur wirklich wollen.“ Bernardo legte den Besen wieder auf den Boden: „Nun bist du dran.“ Konrad ging zu dem Besen und streckte die Hand aus. Er konzentrierte sich ganz fest, er wollte endlich, dass der Besen in seine Hand flöge: „UP!“ Der Besen blieb unbeweglich liegen. Konrad sprangen die Tränen in die Augen. „Dieser blöde Besen funktioniert nicht“, rief er aus, gab dem Besen einen Tritt und lief nach drinnen. Rita stand von der Bank auf, auf der sie gesessen hatte, und ging zu Bernardo, der gerade den Besen hochrief. „War das wirklich eine gute Idee, ihm einen Besen zu schenken?“, fragte sie. „Wenn er wirklich nach Hogwarts geht, wird er ihn dort eh noch nicht benutzen dürfen.“ „Was heißt hier ‚wirklich nach Hogwarts gehen’? Selbstverständlich wird er nach Hogwarts gehen! Und mit dem Besen kann er immer noch hier in den Ferien fliegen und für sein zweites Schuljahr üben. Du weißt doch, wie quidditchverrückt der Junge ist“, entgegnete Bernardo. Rita seufzte und ging ins Haus, um ihren Sohn zu suchen. Sie fand ihn in seinem Zimmer. „Es ist immer noch keine Eule gekommen, Mama“, informierte er sie mit kummervoller Miene. Rita nahm ihren Sohn in den Arm: „Die kommt sicher noch“, tröstete sie ihn. „Ich pack rasch die Sachen fürs Picknick zusammen und dann gehen wir ins Quidditchmuseum, wie du es dir gewünscht hast.“ „Und was ist, wenn die Eule kommt, während ich nicht zu Hause bin?“, fragte Konrad. „Dann wird sie auf dich warten.“ „Sicher?“ „Ganz sicher. Du glaubst doch nicht etwa, dass der Hogwartsbesuch davon abhängt, ob man an seinem 11. Geburtstag zu Hause ist oder nicht?“ Das überzeugte Konrad und Rita schickte ihn ins Bad, damit er sich die Tränenspuren vom Gesicht abwusch, während sie schnell die Sachen zusammenpackte, die sie am Tag zuvor für das Picknick vorbereitet hatte. Bis die ganze Familie startklar war verging eine Weile, doch endlich war es soweit. Mit Flohpulver reisten sie ins englische Quidditchmuseum. Als Konrad nach zwei Stunden erschöpft und glücklich das Museum verließ, um sich auf den anliegenden Picknickplatz zu begeben, hatten seine Eltern und Geschwister bereits einen Tisch mit den mitgebrachten Köstlichkeiten gedeckt. „Wann kommt Konrad endlich raus? Ich hab’ Hunger“, nörgelte Sarah gerade, als Konrad an den Tisch trat. Nach dem reichlichen Mahl sagte Bernardo mit einem Blick auf die Uhr: „Wir sollten uns beeilen, sonst kommen wir zu spät.“ „Zu spät?“, fragte Konrad, „wohin zu spät?“ „Lass’ dich überraschen“, antwortete ihm sein Vater geheimnisvoll. Rita zauberte rasch die Reste zusammen, dann gingen sie ins Museum zurück, um dort das Flohnetzwerk zu nutzen. Als sie an ihrem Zielkamin angelangt waren und aus diesem heraustraten, befanden sie sich in einem Quidditchstadion. Nur wenige Meter vom Kamin entfernt lehnte ein junger Mann in voller Spielermontur und mit Besen in der Hand lässig an der Wand. Als er sie sah, löste er sich und ging auf Konrad zu. Es war Oliver Wood, Konrads Lieblingsspieler von Puddlemere United. „Du musst Konrad sein“, sprach er ihn an, „herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Wie ich gehört habe, bist du heute elf geworden.“ Konrad stand vor Staunen der Mund offen, dann stotterte er: „J- j- ja... da...nke.“ „Möchtest du nicht eine Runde mit mir fliegen?“, fragte Wood Konrad. Ein Strahlen breitete sich über dessen Gesicht aus und mit festerer Stimme antwortete er: „Sehr gerne, Sir!“ Oliver Wood nahm Konrad an der Hand und führte ihn auf das Spielfeld hinaus. Dort ließ er Konrad vor sich auf den Besten steigen und mit einem kräftigen Stoß hoben sie vom Boden ab. Konrad jauchzte vor Vergnügen. Bald zeigte ihm Wood seine akrobatischsten Spielzüge und als sie nach gut einer Stunde wieder landeten, kam es Konrad vor, als hätten sie eben erst abgehoben. „So furchlos wie du auf dem Besen bist, möchtest du doch sicher für dein Haus Quidditch spielen, nicht wahr Konrad?“, sagte Oliver Wood zum Abschied. „Oh ja, Sir, unbedingt!“, antwortete Konrad eifrig. Da war es wieder, das flaue Gefühl in Ritas Magen. Mittels Flohpulver reiste die Familie zurück in ihr venezianisches Inselkastell. Kaum angekommen, sprang Konrad voller Zuversicht die Treppe hoch in sein Zimmer. Kurz darauf kam er wieder herunter, ging zur Tür und öffnete diese: Der Absatz davor war leer. Er lief zum Briefkasten an der Anlegestelle: wieder nichts. Nun beteiligten sich auch die übrigen Familienmitglieder an der Suche nach dem verschollenen Hogwartsbrief. Gemeinsam wurden alle Fenster abgesucht, unter den Schränken nachgesehen und die alten Zeitungen durchforstet. Rita stellte sogar ihren Muggelcomputer an, um nachzusehen, ob Hogwarts vielleicht auf E-Eulen umgestiegen wäre. Konrad wurde zunehmen verzweifelter. Bernardo stand ratlos im Wohnzimmer, Sarah und John saßen erschöpft und beklommen auf den blauen Stühlen am Wohnzimmertisch. Ritas Herz sank: Es war keine Eule für Konrad gekommen und langsam, aber sicher stellte sich bei allen die Gewissheit ein, dass auch keine mehr kommen würde. „Das muss ein Fehler sein“, flüsterte Bernardo, „gleich morgen früh werde ich dem Direktor eine Eule schicken.“ Konrad liefen die Tränen übers Gesicht. „Das ist kein Fehler, Papa“, heulte er, „ich bin ein Squib, ein SQUIB! Ich werde nie auf einem Besen fliegen, nie für mein Haus Punkte holen oder Quidditch spielen. ICH BIN EIN SQUIB!“ Er schrie die letzten Worte heraus, dann rannte Konrad schluchzend aus dem Wohnzimmer, die Treppe hoch und in sein Kinderzimmer. Rita warf ihrem Ehemann einen kurzen Blick zu und lief ihrem Jüngsten hinterher. Es dauerte lange und brauchte eine sehr starke Dosis an Beruhigungstränken, bis sich Konrad an jenem Abend gefasst hatte. Als er endlich eingeschlafen war – Rita hatte ein wenig nachgeholfen – ging seine Mutter hinunter ins Wohnzimmer zu ihrem Ehemann, der an einem Brandy nippte. „Sarah und John?“, fragte Rita. „Sind auf ihren Zimmern.“ Nach einer Pause: „Was machen wir jetzt?“ „Uns nach einer guten Schule für Konrad umsehen. Wenigstens ist unser Haus muggelgerecht eingerichtet“, antwortete Rita mit tonloser Stimme. „Und sonst...?“, fragte Bernardo. „Nichts sonst. Es hat sich nichts geändert, nur weil heute keine Eule kam. Konrad ist immer noch unser Sohn und ich liebe ihn. Wie du auch.“ Rita legte ihre Hand auf Bernardos Arm und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Eine Weile blieben sie so sitzen, dann stand Rita auf und nahm Bernardo an der Hand. An der Wohnzimmertür löschte sie heute Abend das Licht mit dem elektrischen Lichtschalter. Im Dunkeln gingen sie gemeinsam die Treppe hoch ins Schlafzimmer.