Kapitel 1 – Aller Anfang ist schwer - -
Heribert zu Mauszahn stolperte aus dem Verhandlungsraum. Sein Körper reagierte immer noch sehr schleppend auf seine Befehle. „Eine Appariersperre, eine Flohnetzwerksperre“, murmelte er vor sich hin. Er konnte es immer noch überhaupt nicht glauben. Als zu Mauszahn schließlich im Atrium des Zaubereiministeriums stand, fiel ihm ein, dass er gar nicht wusste, wie er nach Hause kommen würde. Zwar wusste er von Mitarbeitern für Muggelartefakte, dass die Muggel ein komisches metallenes Gehäuse mit Sitzen und Rädern hatten, das sogar unter der Erde fahren konnte. Aber selbst war er noch nicht damit gefahren. Wie hieß das doch gleich? Irgendwas mit Uhubanane oder so ähnlich. Seine linke Umhangtasche fing plötzlich stark an, zu leuchten. Überrascht fuhr Heribert zu Mauszahn mit der Hand in diese und fischte sein leuchtendrotes Erinnermich aus ihr heraus. „Oh verdammt, mein Arzttermin“, Heribert fluchte lautstark und einige der Zauberer, die durch das Atrium hetzten, schüttelten die Köpfe. Schnell hetzte er zur Information und rummste schlitternd gegen den Tresen. Er ruderte wild mit den Armen, um sein Gleichgewicht wiederzufinden und landete schließlich doch mit einem dumpfen »pluff« auf seinem Allerwertesten. Der kleine, arg in die Jahre gekommene Zauberer, der auf seinem hohen Stuhl hinter dem Tresen saß, ließ eine Mischung aus Schnauben und unterdrücktem Lachen hören. Heribert zu Mauszahn rappelte sich rasch auf und wedelte wild mit seinen Armen, um das Umhangchaos, welches er durch seinen Sturz verursacht hatte, zu bändigen. „Was kann ich für Sie tun, Herr zu Mauszahn? Dass Sie mich mal um einen Rat fragen.“ Der Alte sah herablassen auf Heribert hinunter. Zu Mauszahn beachtete den kühlen Unterton in der Stimme nicht und wollte gerade eine Antwort geben, als der Zauberer noch einmal das Wort erhob: „Hatten Sie heute nicht Ihre Verhandlung?“ Heribert zu Mauszahn musste sich ein Augenrollen verkneifen. Es war einfach nicht möglich etwas im Ministerium zu verschweigen, jeder wusste hier alles von jedem. „Ja, ich hatte heute meine Verhandlung und genau deswegen bitte ich Sie heute um einen Rat.“ Er räusperte sich verlegen. „Ich habe noch einen wichtigen Termin und bräuchte jetzt dringend Informationen zum Muggelverkehrsnetz.“ Wieder ertönte die Mischung aus dem Schnauben und einem unterdrückten Lachen. Heribert klopfte unruhig auf den Granitblock, der den Tresen darstellte. „Also ... können Sie mir jetzt helfen oder nicht? Ich habe es wirklich eilig.“ Der Zauberer murmelte ein „jaja, ich mach ja schon“, rutschte von seinem Stuhl und verschwand hinter dem Block. Zu Mauszahn hörte ihn lautstark rumoren und leise fluchen, dann sah er, wie er umständlich wieder auf seinen Stuhl kletterte und ihm einen großen, länglichen Streifen Papier entgegenklatschte. „Hier“, brummelte er, „ein Straßenverkehrsplan mit allem, was die Muggel so zum Reisen benutzen. Brauchen Sie sonst noch etwas?“ Heribert nahm den großen Streifen Papier entgegen und ahnte sofort, dass er noch einiges damit erleben würde, und sammelte noch seinen restlichen Mut zusammen. Er war ein Mann, der so gut wie nie auf Hilfe angewiesen war und jetzt musste er auch noch vor einem der langjährigsten Mitarbeiter des Ministeriums klein beigeben. Das versetzte seinem Ego einen gehörigen Stich. „Naja, und auf welche Art und Weise muss ich das Ministerium denn jetzt verlassen?“ Ihm war diese Frage sichtlich peinlich. „Das kommt darauf an, was für ein Urteil Sie erteilt bekommen haben“, das Schmunzeln war jetzt nicht mehr zu übersehen und zu überhören. Heribert schäumte innerlich, das würde ihm noch etliche Tage, wenn nicht sogar Monate, nachhängen. „Ich hab eine Appariersperre auferlegt bekommen, dazu wurde mein Kamin vom Flohnetzwerk genommen.“ „Dann müssen Sie durch den Besuchereingang, die rote Telefonzelle, die in London von Muggeln als Fernsprechgerät gebraucht wird. Sie müssen den Aufzug ganz links nehmen, dann kommen Sie oben auf der Straße hinaus.“ Die Augen des alten Zauberers blitzten hämisch auf. Heribert wusste, dass der alte Zauberer ihm die Strafe wirklich gönnte. Heribert bedankte sich und schlich langsam einmal durch das Atrium zurück. Er fühlte sich so gedemütigt und gebeutelt. Vor dem Aufzug, der mit offener Tür wartete, beschlich Heribert ein ungutes Gefühl. Und er konnte es sich nicht erklären, warum er sich auf einmal so seltsam fühlte. Er betrat den Aufzug und nach lautem Rütteln der Tür, die sich automatisch schloss, setzte sich der Aufzug ratternd in Bewegung. Durchgeschüttelt, mit flauem Magen und immer noch flatternden Beinen stakste Heribert zu Mauszahn oben aus der Telefonzelle. Der Lärm vom Londoner Berufsverkehr dröhnte in Heriberts Ohren. So viel Krach, den er nicht gewohnt war. „Wie komm ich jetzt nach Hause? Komm ich überhaupt nach Hause? Immerhin wohne ich doch so abgelegen von London.“ Die Gedanken überschlugen sich in seinem Kopf und er war drauf und dran, sich verzweifelt hinzuhocken und einfach aufzugeben. Der Wind frischte auf und Heribert schlug seinen Umhangkragen höher, dabei blieb sein Arm an dem langen Streifen Papier hängen. Doch seine erste Handlung war sein Griff in sein Wams, in dem er seine goldene Taschenuhr aufbewahrte. Er warf einen Blick auf diese und stellte fest, dass er seinen Arzttermin bereits verpasst hatte. Er seufzte tief auf. „Zu Hause erwartet mich obendrein bestimmt bereits eine miesgelaunte Eule. Ich bin auch so ein Schussel.“ Da er immer noch in der Seitenstraße bei der Telefonzelle stand, rappelte sich Heribert zu Mauszahn auf seine Füße und ging in Richtung Hauptstraße. Seine Beine zitterten noch immer und er kam nur langsam vorwärts. Je näher er der Straße kam, desto lauter wurde der Lärm des Verkehrs. Die Seitenstraße spie Heribert aus. Verloren stand er auf der großen, breiten Straße und wurde von vorbeihetzenden Passanten merkwürdig beäugt. Ein bananengelbes vierrädriges Ding blieb am Straßenrand stehen. „Sie sehen so aus, als ob sie ein Taxi gebrauchen können.“ Ein bärtiger Mann sprach aus dem Inneren des Dings zu Heribert. Dieser blickte ihn nur verdattert an. „Na los, steigen Sie schon ein, ich hab nicht ewig Lust hier stehen zu bleiben.“ Heribert, der nach wie vor seinen Augen nicht glauben konnte, quetschte sich mühsam auf die Rückbank des Taxis. Kaum hatte er die Tür zugezogen, bretterte der Fahrer auch schon los. Herr zu Mauszahn stand, wie er jetzt erst bemerkte, der Mund weit offen. „Wo soll‘s den hingehen?“, fragte der Fahrer und ein Piepsen war im Inneren des Dings zu hören. Irritiert faltete Heribert den Streifen Papier auf und versuchte, dort seine Straße ausfindig zu machen. Diese zeigte er dann dem Fahrer, der nur den Kopf schüttelte, etwas murmelte und den Taxameter anstellte. Herbert hatte natürlich keine Ahnung, was das war und so hoffte er, dass er am richtigen Platz ankam. Es dauerte über eine Dreiviertelstunde, in der Heribert von Mauszahn immer wieder seine goldene Taschenuhr aus dem Wams zog, draufblickte und mit mürrischem Blick wieder verstaute, ehe er seine Straße und die angrenzenden Wohnhäuser wieder erkannte. Er war tatsächlich nach Hause gekommen. „Das macht dann 54,53 £.“ Es quietschte und der Taxifahrer deutete mit seinem wurstigen Zeigefinger auf die Anzeige, die in Heriberts Augen rot flackerte. Heribert schluckte. Es gab eine muggeleigene Währung? In ihm wuchs die Panik, die besaß er nicht. In seiner Not vergaß Heribert fast, dass er ja noch seinen Zauberstab benutzen durfte. Leise, für den Taxifahrer der inzwischen mit den Fingern auf der Mittelkonsole trommelt nicht hörbar, wisperte er »Confundus«. Für einen kurzen Moment vertrübte sich die Sicht vom Taxifahrer, dann rieb er sich kurz die Augen und sah auf seine Uhr. „Nanu, was machen Sie denn noch hier, wollten Sie noch ein Stück weiter?“ „Nein, nein, ist alles in Ordnung.“ Heribert raffte seinen Umhang und klammerte seine Tasche an sich. Dann schälte er sich vorsichtig aus dem, ihm immer noch unbehaglichen Gefährt. Vorsichtig, als könnte er sich am Stahl verbrennen, bewegte er die Tür Richtung Schloss. Mit einem dumpfen »plonk« fiel diese zu. Hinter ihm dröhnte der Motor auf und das Taxi bretterte von dannen. Mit müden Schritten schleppte er sich die wenigen Meter bis zu seinem Haus. Kaum war die Tür hinter ihm zugefallen, ließ er alles fallen. Er wollte nur noch in sein Bett, denn er war mit einem Mal unfassbar müde. „Gleich morgen“, dachte er sich, „werde ich mich krankmelden und alles Weitere in Ruhe in Erfahrung bringen.“