Was macht ein für neue Erfahrungen offener und wissenschaftlich neugieriger junger Police Constable, wenn der einzige Zeuge für einen Mordfall sich als der Geist eines schon lange toten Mannes entpuppt? Er interviewt den Geist.
Damit beginnt Ben Aaronovitchs Fantasy-Roman "Die Flüsse von London", im englischen Original "Rivers of London". Der erste Band der mittlerweile siebenteiligen Reihe – Novellen und Comics nicht mitgerechnet – erschien 2011 im Gollancz-Verlag und 2012 auf deutsch im dtv.
Peter Grant ist ein Police Constable, der gerade seine Ausbildung bei der Londoner Metropolitan Police abgeschlossen hat. Wenn es nach seinen Vorgesetzten geht, steht ihm eine Karriere in der Polizeiverwaltung bevor, denn um draußen auf der Straße Verbrechen aufzuklären, lässt er sich viel zu leicht ablenken. Doch als Grant an einem Tatort einen Geist trifft, der das Verbrechen beobachtet hat und wertvolle Hinweise geben kann, wird die geheime magische Abteilung der Londoner Polizei auf ihn aufmerksam. Der Chef und einzige Angestellte dieser Abteilung, Detective Inspector Thomas Nightingale, ist zudem der letzte verbliebene Zauberer in ganz Großbritannien. Als sein Lehrling löst Peter Grant nun magische Verbrechen und lernt die vielseitige magische Unterwelt Londons kennen, die gar nicht so geheim und abgeschlossen ist wie die magische Gesellschaft in der Welt von Harry Potter. Stattdessen leben Flussgöttinnen in Wimbledon und fahren grellgelbe Mini Coopers. Und während ohne Unterlass Rätsel zu lösen und Verbrechen aufzuklären sind, lernt Peter Grant das Zaubern.
Bild von: Lacrimabilis
Die Flüsse von London ist eine Mischung aus gut recherchiertem Krimi und Urban Fantasy. London ist kein zufälliger Schauplatz: Die Londoner Herkunft des Autoren wie auch des Protagonisten tritt in jeder Ortsbeschreibung deutlich zutage, was eine gute Grundlage für eine sowohl in sich schlüssige als auch realistisch wirkende Welt darstellt. Das Magiesystem sowie die demi-monde, wie die magische Unterwelt genannt wird, stehen auf einer soliden, zum einen wissenschaftlich anmutenden, zum anderen mythologischen Basis. Peter Grant tritt als humorvoller Ich-Erzähler in Erscheinung, der seine Beschreibungen von Mensch und Umwelt mit Kommentaren und Popkultur-Referenzen würzt. Leider gehen gerade letztere in der deutschen Übersetzung verloren, werden unzureichend übersetzt oder einfach komplett ausgelassen. Wer der englischen Sprache mächtig ist, greift also lieber zum Original!
Das Buch enthält moderate Gewaltbeschreibungen und durchaus graphische Beschreibungen von Body-Horror. Je nach Vorstellungskraft des Lesers kann das recht abstoßend und gruselig sein, daher empfehle ich das Buch generell erst für Leser*innen ab 14 Jahren, je nach persönlicher Empfindlichkeit aber auch schon für jüngere Leser*innen.
Große emotionale Szenen sind in dem Roman nicht zu erwarten. Wer den Fokus auf die explizit beschriebene Charakterentwicklung eines Protagonisten legt, wird enttäuscht werden. Zum einen liegt das daran, dass "Die Flüsse von London" lediglich der Auftakt einer Serie ist und von Anfang an eben genau darauf ausgelegt war. Zum anderen passieren viele charakterlich entscheidende Momente im Vorübergehen, ohne konkret vom Erzähler thematisiert zu werden.
Eine deutliche Stärke des Autoren liegt dennoch in der Gestaltung interessanter, vielseitiger und liebenswerter Haupt- wie Nebencharaktere. Das zeigt sich bereits im ersten Band der Reihe und verstärkt sich in den folgenden Bänden weiter. Wer einen spannenden, lustigen wie dramatischen, magischen Krimi sucht, liegt mit "Die Flüsse von London" genau richtig.