Schulbeginn in Hogwarts

Draußen ist es bereits dunkel geworden, als ich an der Seite von Professor McGonagall die Schule betrete. In den Gängen ist es noch still. „Die Schüler werden in etwa einer halben Stunde erwartet“, erklärt mir die amtierende Rektorin der Schule, während sie mich in die Große Halle führt, wo die langen Haustische verlassen und leer dastehen. Und als sich in mir die Erinnerung an meine eigene Schulzeit in diesen heiligen Hallen ausbreitet, erklärt sie mir in ihrer resoluten Art, was ich in der folgenden Stunde zu tun und zu lassen habe. „Ich hoffe, Sie verstehen“, schließt sie ihre Ansprache, „dass Sie sich unauffällig verhalten müssen. Immerhin sind wir eine Schule und ein jeder Schulbeginn ist für einen jeden Schüler einmalig und soll etwas besonderes und schönes sein.“ Ich nicke ehrfürchtig und sie befördert aus dem Nichts einen Stuhl hervor, den sie in einer Ecke gegenüber des Podiums mit dem Lehrertisch platziert. Ich lächele dankbar und sie verabschiedet sich mit der Begründung, sie hätte noch etwas zu erledigen, bevor das Fest beginne. Ich setze mich still auf meinen Stuhl und versuche meiner Nostalgie Herrin zu werden, doch noch während ich diesen Kampf ausfechte, wird die lastende Stille durch freudige Rufe, Lachen und Schritte auf den Steintreppen vor dem Schloss gestört: Die ersten Schüler erscheinen. Fröhlich und lärmend drängen sie durch die gewaltigen Flügeltüren, auf ihren Roben die Embleme und Farben der vier Schulhäuser. Nur wenige scheinen mich wahrzunehmen. Sie verteilen sich in kleinen Gruppen um die Haustische und erzählen aufgeregt von den Erlebnissen der Ferien. Fast erwarte ich, mich selbst zwischen den Jugendlichen zu entdecken und zum Tisch der Hufflepuffs hinübergehen zu sehen. Und als eine neue Woge der Erinnerung über mir zusammenschlägt fühle ich mich wieder wie 16 und kann mich nur schwer davon zurückhalten, meinen Beobachtungsposten zu verlassen und mich unter die Schüler zu mischen.
Plötzlich verstummen die Gespräche und erwartungsvolle Stille breitet sich in der Großen Halle aus. Professor McGonagall ist zurückgekehrt und hat den Platz eingenommen, auf dem ich während meiner eigenen Schulzeit stets nur Professor Albus Dumbledore erlebt habe. Ihre Arme begrüßend ausgebreitet spricht sie zu den Schülern, heißt sie willkommen und bittet nun Professor Flitwick, der aktuell der Stellvertreter der Rektorin ist, den sprechenden Hut und die neuen Schüler zu holen. Als der kleine Professor Flitwick den Hocker mit dem Hut vor das Podest am Kopf der Halle stellt, erinnere ich mich an all die Jahre, in denen ich Professor McGonagall beim Erfüllen dieser Aufgaben erlebt habe. Ich habe es gerade wieder geschafft, meine Gedanken ins Hier und Jetzt zurückzurufen, als sich neben mir die große Flügeltür öffnet und Professor Flitwick, der inzwischen aus der Halle verschwunden war, wieder erscheint. Im Schlepptau hat er eine Gruppe nervöser Neulinge, deren Roben noch das neutrale Emblem Hogwarts tragen. Leise tuschelnd schauen sie sich um, bewundern die verzauberte Decke, die an diesem Abend einen wunderbaren, klaren Sternenhimmel zeigt, und staunen offenen Munds über die Kerzen, die über den Tischen in der Luft schweben. „Herzlich willkommen in Hogwarts“, begrüßt sie Professor McGonagall, die noch immer in der Mitte des kleinen Podiums steht. Dann erklärt sie ihnen die Prozedur, die nun folgen wird. Einige von ihnen sehen misstrauisch auf den alten Hut, der noch starr und unbewegt auf dem Hocker liegt. Doch dann regt er sich plötzlich, zur hellen Freude der älteren Schüler.



Ich bin der Hut, der euch sortieren
wird in unsre Häuser vier.
Welchs Haus soll euch nun adoptieren?
Das zu entscheiden bin ich hier.

Doch lasst sie mich euch präsentiern,
damit ihr wisst, worum es geht,
ihr sollt euch schließlich orientiern,
solange ihr hier vor mir steht.

Das Haus, wo große Denker weilen,
wo Wissen und wo Köpfchen zählt
nach Ravenclaw solltet ihr eilen,
wenns das ist, was ihr euch erwählt.

Ists Mut, den ihr im Herzen hegt,
und seid ihr tapfer lieber,
so rate ich euch geht und legt
in Gryffindor euch nieder.

Das Haus in grün und silber nun,
für Freundschaft ists bekannt,
wird stets fürs Ziele alles tun
und Slytherin genannt.

In Hufflepuff ist man bereit
stets arbeitsam zu sein,
liebt Fleiß ihr und Gerechtigkeit,
so reiht euch dort mit ein.

Doch auch, wenn ich euch trennen muss,
heut Abend hier im Saal,
- es ist mir nicht nur ein Genuss -
seid nie getrennt total.

Das musst ich hier und jetzt noch sagen,
in diesen heilgen Hallen.
„Warum dann trennen?“, mögt ihr fragen.
Zur Fördrung von euch allen.



Nachdem der Hut sein alljährliches Lied beendet hat und der Applaus verklungen ist, beginnt Professor McGonagall damit, einen Schüler nach dem anderen aufzurufen. Die genannten treten vor, die meisten von ihnen schüchtern und ängstlich. Und unter großem Beifall und lauten Rufen werden die 43 Elfjährigen den vier Hogwartshäusern zugeordnet.
In diesem Jahr gehen neun Schüler und Schülerinnen nach Gryffindor, je 13 finden in Hufflepuff und Slytherin ihr neues Zuhause und das Haus Ravenclaw erhält acht neue Mitglieder.
Nach einigen Minuten, die von Freude und überschwänglichen Begrüßungen erfüllt sind, sorgt Professor McGonagall erneut für Ruhe. Noch einmal heißt sie alle Schüler herzlich willkommen und wünscht ihnen viel Erfolg für das kommende Schuljahr. Auf ihr Zeichen hin erscheint auf den Tischen der Häuser das Menü des heutigen Abends und während die Schüler sich über das Abendessen hermachen und Professor Flitwick den sprechenden Hut an den Rand der Halle bringt, schreitet Professor McGonagall durch die Halle zwischen den Tischen entlang auf mich zu.
„Ich danke Ihnen, dass Sie sich so ruhig verhalten haben“, erklärt sie. Ich bedanke mich für die Möglichkeit, an der feierlichen Einführung der neuen Schüler teilhaben zu können. Sie geleitet mich zum Ausgangstor des Schulgeländes, wo ich mich noch einmal bei ihr bedanke. Dann verabschieden wir uns und sie kehrt in das Schloss zurück ,um am nun folgenden Fest teilzuhaben, das unausweichlich schulintern bleibt.