Gefühle eines kleinen Kürbisses

Die kleine Sarah hatte uns aufgesucht und ihre Geschichte vorgetragen:

>>Am Dorfrand in Waldesnähe stand ein kleines, gepflegtes Häuschen wie aus einem Märchen. Hinter diesem Häuschen lag ein kleiner Gemüsegarten. Hier lebte zwischen den Tomaten, den Gurken und dem Salat ein kleiner Kürbis zusammen mit seiner Familie. Jedes Jahr wurde gewetteifert, wer denn dieses Mal zu Halloween das Fest verschönern durfte. Leider konnte der kleine Kürbis dabei immer nur zusehen, wie kleine oder große Zaubererhände den Glücklichen unter ihnen aus dem Garten holten, denn er wusste, dass er noch viel zu klein dafür war. So verging Jahr für Jahr und jedes Mal erwartete der kleine Kürbis betrübt das alljährliche Fest. Zu gern würde er doch erfahren, was außerhalb des kleinen Gartens geschah. Er hatte so viele Fragen, die ihm hier leider keiner beantworten konnte.
Eines Tages kurz vor Halloween beschloss er, etwas gegen sein tristes Leben zu unternehmen. Er hatte es einfach satt, jedes Jahr nur zusehen zu müssen. Also wusch er sich unter jeder Regendusche besonders gründlich, drehte sich sorgfältig so oft wie möglich in den spärlichen Sonnenstrahlen nach allen Seiten und reckte stolz seinen kleinen Kopf in die Höhe, wenn er Stimmen näher kommen hörte. Die anderen Kürbisse aus seiner Familie jedoch lachten ihn aus und wandten sich wieder ihren Gesprächen zu. Schließlich musste ein Kürbis vor allem eines sein, nämlich groß. Doch der kleine Kürbis ließ sich nicht beirren und arbeitete fleißig weiter an seinem Aussehen. Mal zog er eine Grimasse, dann wieder lachte er übers ganze Gesicht. Schließlich kam der Tag, den alle sehnsüchtig erwarteten. Diesmal war auch der kleine Kürbis ganz aufgeregt. Er hüpfte regelrecht auf und ab vor Freude. Von den anderen Kürbissen erntete er zwar nur missbilligende Blicke, aber das machte ihm nichts aus. Endlich war der große Tag da, und nun wollte er mal sehen, ob seine Bemühungen nicht doch etwas nützen würden und er dieses Mal triumphieren konnte.
Langsam kamen Zaubererstimmen näher und diesmal war wirklich etwas anders. Es waren viel mehr Stimmen da als sonst, genau genommen mehrere Kinder und ein paar Erwachsene. Angestrengt lauschte der kleine Kürbis und versuchte gleichzeitig, auf sich aufmerksam zu machen, indem er sein herausgeputztes Kleid ins Licht hielt und sein strahlendstes Lächeln aufsetzte. „Papa, schau doch mal!“ Ein kleines Mädchen hatte sich vom Stimmengewirr gelöst und war näher an das Kürbisbeet getreten. Es zeigte seinem Vater den kleinen Kürbis, welcher nun ganz erschrocken inne hielt. „Ja, mein Schatz, das ist wirklich ein seltenes Exemplar! Aber leider so klein.“ Doch das kleine Mädchen ließ nicht locker: „Bitte Papa, ich möchte ihn gerne behalten.“ Darauf willigte der Vater ein: „Also gut, aber nur weil du heute Geburtstag hast.“
Tatsächlich war heute also der Glückstag des kleinen Kürbisses. Er durfte in die Außenwelt, wie er die Welt jenseits des Gartens gern nannte. Überglücklich grinste er seine verdutzten Familienmitglieder an. Dann spürte er, wie ihn kleine Händchen umfassten und aus dem Garten trugen. Mit großen Augen versuchte er so viel wie möglich zu erhaschen. Doch da trug ihn das kleine Mädchen auch schon ins Haus und die Treppen hinauf, sodass ihm bald schwindlig wurde. Schließlich kamen sie in einem kleinen Turmzimmer an. Das kleine Mädchen setzte ihn vorsichtig auf den Fenstersims, von welchem er nun auf den kleinen Garten hinabblicken konnte. Außerdem hatte er hier eine herrliche Sicht auf die Landschaft ringsherum. Vorsichtig nahm das kleine Mädchen ihren Zauberstab hervor. „Ich hab von Papa einen besonderen Zauberspruch gelernt und denke, du bist der richtige dafür.“ Funkelnde Sterne schossen aus der Zauberstabspitze hervor und plötzlich fühlte sich der Kürbis wie im siebten Himmel. Nun hielt ihm das kleine Mädchen einen Spiegel hin. Was er nun sah, überstieg seine Fantasien. Alles glitzerte und leuchtete. Es sah aus, als ob er in Gold und Silber gebadet hätte. Außerdem sah man sein Gesicht, das sonst für alle Menschen unsichtbar war. Mit echten Tränen in den Augen wunderte ihn seine Stimme nicht mehr: „Du hast mir eine Seele gegeben...“ „Nein“, erwiderte das Mädchen leise. „Ich hab nur dein Innerstes nach Außen gekehrt...“<<

Bild von: nela

Diese kleine Geschichte hatte uns so gerührt, dass wir uns einig waren, diese der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Vielleicht werden wir die Demonstranten dieses Jahr ein wenig besser verstehen.