Adventskalender

16. Dezember

Zweifelhafter Weihnachtseinkauf

Der alljährliche Adventsmarkt war an einem kalten Dezembervormittag in der Winkelgasse aufgebaut worden. Dicke, weiße Flocken fielen vom Himmel und ein Geruch von Glühwein und Plätzchen und eine gewisse Geschäftigkeit, die man nur auf Weihnachtsmärkten antraf, lagen in der Luft. Das emsige Treiben wurde begleitet von den Gesprächen glücklicher – und oftmals gestresster – Familien, Paare, deren Gesprächsfetzen eine gemeinsame Geräuschkulisse bildeten und dazwischen noch die Rufe der Ständebetreiber, die sich bemühten, Zauberer und Hexen an ihre Waren heranzulocken.

Neben einigen Leuten von außerhalb hatten sich auch viele der Geschäfte der Winkelgasse die Mühe gemacht, einen eigenen Stand aufzubauen – von Fortescues Eissalon, bei dem man Zimt- und Spekulatiuseis erwerben konnte, bis zu Madam Malkins, die allerlei Umhänge passend zur kalten Jahreszeit verkaufte. Sogar der Tagesprophet hatte einen kleinen Stand aufgebaut, hinter dem ein schlecht gelaunter kleiner Zauberer stand, der sich durchgehend frierend die Hände rieb. Hinter ihm war ein Banner aufgebaut, das den aktuellsten Tagespropheten originalgetreu in wohl zehnfacher Größe zeigte; unter der Schlagzeile, die von einem Skandal berichtete, der Ludo Bagman, Celestina Warbeck und ein paar Gläser Feuerwhiskey beinhaltete, war ein Foto mit Ludo Bagman selbst zu sehen, der leicht angetrunken in seiner knallgelben Wimbourner-Wespen-Quidditchuniform neben einem Weihnachtsbaum herumtaukelte.

Inmitten des Gedränges bewegte sich ein Pulk aus feuerrotem Haar durch die Menge: Familie Weasley, die von Molly angeführt wurde, neben ihr Arthur und hinter ihnen Ginny, Ron, Fred und George, die alle mehr oder weniger gehorsam ihren Eltern hinterhertrotteten und anscheinend alle von Molly mit Strickarbeiten eingekleidet worden waren. Sie alle waren nun stehengeblieben, um sich an den verschiedenen Ständen umzusehen.

Fred und George hatten sich inzwischen schon unbemerkt, still und heimlich von ihrer Familie entfernt und versuchten anscheinend gerade, dem Verkäufer des Standes von Freud und Leid ihr eigen hergestelltes Nasblutnougat anzudrehen, welches dieser misstrauisch beäugte.

Arthurs erheiterter Blick wanderte über das weihnachtliche Treiben, als ihm plötzlich eine ihm bekannte Person ein paar Meter weiter auffiel, die sofort seinen Verdacht erweckte. Er hob die Augenbrauen und teilte seiner Frau seine Absichten mit – Molly war nicht sehr begeistert von seiner Idee, den Weihnachtseinkauf der Familie mal schnell zu verlassen und dort nach dem Rechten zu schauen, doch selbst eine kurze Diskussion konnte ihren Mann nicht umstimmen.
„Das könnte eine Angelegenheit fürs Ministerium sein, Molly“, meinte er und seine Miene wurde zu einer entschlossenen. „Ich bin gleich wieder da.“ Und mit diesen Worten begann er, sich an den vielen Menschen, die den Adventsmarkt besuchten, vorbeizuschieben.
„Und das an deinem freien Tag!“, rief Molly aus und schüttelte den Kopf, ehe sie ihrem Ehemann folgte.

„Ich brauche dringend noch ein Weihnachtsgeschenk für Harry“, meinte Ron und wandte sich seiner Schwester zu, die sehnsüchtig auf die karamellisierten Leckereien vom Stand direkt vor ihnen schaute.
„Kauf ihm doch etwas von Qualität für Quidditch“, schlug Ginny vor und blickte ein letztes Mal voller Sehnsucht zu den Süßigkeiten, ehe sie zu dem Stand ein paar Meter weiter nickte.
„Ne, viel zu teuer“, murmelte Ron und dachte angestrengt nach. „Aber was mit Quidditch wäre schon gut. Hermine schenkt ihm ein Buch, glaube ich. Etwas Praktisches könnte er brauchen. Vielleicht eine Art Kompass oder so, fürs Quidditchfeld – die bei Qualität für Quidditch haben da nur so Spezialanfertigungen…“
Seine Schwester unterbrach ihn. „Was machen Mum und Dad da?“

***

Nicht weit entfernt hatten Kingsley Shacklebolt und Nymphadora Tonks gerade die Winkelgasse durch das magische Backsteintor im Hinterhof des Tropfenden Kessels betreten, das sich zugleich wieder hinter ihnen schloss. Da es bei der Arbeit im Zaubereiministerium gerade recht ruhig zuging, hatten einige Mitarbeiter der Aurorenzentrale sich dazu entschlossen, ihre Mittagspause in der Winkelgasse zu verbringen – so auch Kingsley und Tonks, die nun zwischen den zahlreichen Ständen des Adventsmarkts entlangschlenderten.

Kingsley trug neben seinem Wintermantel und seinem einzelnen Goldohrring nur einen stylischen Schal und Tonks, mit weihnachtlich grüner Haarpracht und eingemummelt in Schal, Mütze und Handschuhen, fragte sich insgeheim, ob der höhergestellte Auror mit seinem kahlen Kopf nicht frieren musste.

„Oohh, schau!“, sagte Tonks plötzlich begeistert und zeigte auf einen silbern glänzenden Rennbesen, der vom Stand von Qualität für Quidditch ausgestellt wurde. Ein paar Kinder hatten sich schon neben dem Stand aufgereiht und bestaunten unter dem wachsamskeptischen Blick der Verkaufshexe die ausgestellten Waren mit offenen Mündern. Ehe Kingsley jedoch seine Aufmerksamkeit ebenfalls dem Stand zuwenden und etwas erwidern konnte, stolperte die junge Aurorin plötzlich und knallte mit voller Wucht gegen den Quidditchstand, sodass der Tisch bedrohlich wackelte und mehrere der Waren von der Auslage auf dem schneebedeckten Boden landeten.

„He, das ist Qualitätsware, hunderte Galleonen wert!“, entrüstete sich die Verkäuferin und fuhr anschließend die Kinder an, die über den Vorfall lachten und nach weiteren schimpfenden Worten der Hexe schließlich davonrannten.
„Huch, das tut mir aber leid… Ich bin immer so tollpatschig…“ Tonks bückte sich bestürzt, um die verteilten Waren aufzusammeln, doch Kingsley, wohl die Ruhe in Person, hatte schon seinen Zauberstab herausgezogen – mit einem Schwenk erhoben sich die Besen und anderen Quidditchprodukte, schüttelten den Schnee ab und wurden wieder auf der Verkaufsablage abgesetzt (dabei hatte der Zauberer wohlweislich daran gedacht, die wenigen Schäden wie den kleinen Reisigknick des teuren Rennbesens, die durch Tonks‘ Missgeschick entstanden waren, noch schnell zu reparieren). Die Verkäuferin schien besänftigt und sogar ganz angetan von ihm zu sein und bot ihm einen Rabatt an; Kingsley lehnte dankend ab.

Während Tonks noch der Verkäuferin von ihrer Tollpatschigkeit erzählte („Dauernd werfe ich was um!“), fiel ihm in der Nähe von ihren Stiefeln etwas auf dem Boden auf, das sich in seiner kastanienbraunen Farbe deutlich von dem umliegenden Schnee abzeichnete. Er bückte sich und hob es auf, um es kritisch zu beäugen; es handelte sich um eine hölzerne Pfeife, von der
ein starker Tabakgeruch ausging. Sie schien der Grund für Tonks‘ Stolpern soeben gewesen zu sein.

Die junge Aurorin, die sich eben wieder von dem Quidditchstand und der Hexe dahinter abgewendet hatte, gesellte sich nun wieder zu ihrem Kollegen.
„Danke für deine Hilfe eben“, meinte sie lächelnd, und dann: „Irgendwie passiert mir sowas ständig.“ Als sie sich wieder in den Trott der bummelnden Menschen um sie herum eingliederten und zwischen den Marktständen entlangschlenderten, fragte sie: „Und? Hast du schon alle Weihnachtsgeschenke beisammen?“
„Ich brauche noch ein Geschenk für meine Mutter“, erwiderte Kingsley mit seiner tiefen, beruhigenden Stimme und hob die Augenbrauen, während er die Tabakpfeife in seiner Hand betrachtete.
„Ah“, sagte Tonks. „Tja, ich auch. Dabei ist meine Mum immer so schwer zu beschenken…“
Ihr Blick fiel auf das Objekt, das Kingsley gerade vom Boden aufgelesen hatte. „Was hast du da?“
„Darüber bist du gerade gestolpert“, erwiderte der Auror langsam und hielt ihr die hölzerne Pfeife hin, damit Tonks sie ebenfalls betrachten konnte.
„Kommt mir irgendwie bekannt vor.“
Ehe Tonks sich noch weiter darüber Gedanken machen konnte, warum ihr die Pfeife denn so bekannt vorkam, erregte etwas anderes ihre Aufmerksamkeit.

Abseits von den Ständen in einer abgelegenen Ecke, die etwas versiffter schien als die restliche Winkelgasse, bei einer Wand, die von vergilbten Werbeplakaten für Zischende Wissbies geziert wurde, die ab und zu ein wenig im Wind flatterten, hatte sich ein kleiner Auflauf gebildet. Mehrere Zauberer und Hexen, bepackt mit ihren Weihnachtseinkäufen, standen versammelt um irgendetwas herum und betrachteten es mit vagem Interesse. Bevor Tonks sich recken konnte, um einen Blick auf den Mittelpunkt des Geschehens zu erhaschen, erklang schon eine wohlbekannte Stimme zwischen den versammelten Leuten.
„Das is´ doch nich mal richtig verzaubert, Arthur… Nur ´n bisschen aufgepeppt…“

Kingsley, der soeben noch die Pfeife mit seinem Zauberstab angetippt hatte, hob seinen Kopf und folgte ihrem Blick. Mit einer gewissen Selbstverständlichkeit nickten sich die beiden Auroren zu und machten sich auf, um sich einen Weg durch die Menge bis hin zu dem Tumult am Ende der Winkelgasse zu bahnen. Als Tonks mehrmals rief, dass sie Auroren vom Ministerium seien, wichen die Leute nach und nach zurück und ließen die beiden gewähren (dazu kam noch Kingsleys hochgewachsene Gestalt, der man das Aurorendasein sofort abkaufte). Als die Menschen schließlich ein Blickfeld auf die ominöse Ecke freigaben, blieben Tonks und Kingsley stehen.

Vor ihnen auf dem Boden kniete ein sehr betretener Mundungus Fletcher, schäbig wie eh und je, der wohl gerade dabei gewesen war, diverse kuriose Gegenstände, die ausgelegt auf einer ebenso schäbigen Decke auf dem Boden lagen, eilig in seinen Koffer zu packen. Arthur Weasley stand daneben und setzte soeben seine Brille wieder auf, die er anscheinend gerade geputzt hatte.
„Ah, Kingsley, Tonks, gut, euch zu sehen“, meinte Arthur und nickte bedeutungsvoll mit dem Kopf, als er die beiden Auroren erkannte. Sie erwiderten das Nicken.

Mundungus, der anscheinend nicht erwartet hatte, auf dem besinnlichen Adventsmarkt von einer Horde Auroren bedrängt zu werden, wich entsetzt zurück und landete fast auf allen vieren, da er immer noch auf dem Boden kniete.
„Ich habe Mundungus gerade dabei erwischt, wie er verzauberte Muggelgegenstände verkaufte“, fuhr Arthur fort.
„Das ist ja mal wieder typisch“, ließ sich Molly, die solidarisch hinter ihrem Mann stand, vernehmen und warf dem Gauner böse Blicke zu.

„He, das ist meine Lieblingspfeife!“, rief Mundungus betroffen aus, die soeben getroffenen Aussagen zu seinen illegalen Geschäften ignorierend, und zeigte auf das hölzerne Objekt in Kingsleys Händen. Dieser schien nicht unglücklich zu sein, die Pfeife mit ihrem starken Tabakgestank wieder ihrem rechtmäßigen Besitzer zurückgeben zu können. Mundungus betrachtete seine Pfeife, als sie wieder bei ihm war, einen Moment lang liebevoll und warf dann einen empörten Blick zu Molly.
„Ich hab das allen zu sehr fairen Preisen verkauft, nur damit ihr’s wisst.“
„Für mich sieht das nicht sehr fair aus“, meinte Tonks und kniff ein wenig die Augen zusammen, um die krakelige Schrift auf einem der Preisschilder, die an den Gegenständen befestigt waren, lesen zu können. „Was steht da? Fünfzehn Galleonen für so ein kleines Metallding?“

„Wie auch immer“, meinte Arthur, „deine Waren hier, Mundungus, stellen eine schwerwiegende Verletzung des Muggelschutzgesetzes dar.“ Er ließ seinen Blick über die schäbige Decke wandern, zeigte schließlich auf einen der Gegenstände und nickte bedeutungsvoll. „Das hier beispielsweise ist ein Makrowellengerät – oh, sogar mit Stecker!“
Ein Anflug von Begeisterung war kurz in seinen Augen, dann fasste er sich wieder und räusperte sich. „Ein normalerweise harmloser Muggelgegenstand, der in den Händen von Mundungus nichts zu suchen hat.“
„Das konnte ich ja nich wissen“, erklang es von Mundungus.
„Inwiefern ist denn diese Makrowelle verzaubert?“, fragte Kingsley.
„´s redet und gibt Tipps für den Haushalt“, entgegnete Mundungus kleinlaut und zuckte mit den Schultern.

Der Rest der Familie Weasley (also Ron, Ginny, Fred und George) war inzwischen nachgekommen, hatte sich nach vorne zu dem Mittelpunkt des Geschehens gedrängt und betrachtete die Szenerie mit unverhohlener Begeisterung.
„Verkaufst du die Dinger, Mundungus?“, fragte Ron mit ernsthaftem Interesse und bückte sich, um einen etwas verschrammten, aber relativ intakten goldenen Kompass von der Decke aufzuheben. „Der wäre ein perfektes Weihnachtsgeschenk für Harry!“
„Untersteh dich, Ronald!“, meinte Molly. „Das ist bestimmt alles gestohlene Diebesware.“
Mundungus wandte sich zu Ron. „Das sin´ alles sehr faire Preise, weißt du…“
Ron hatte sich den Kompass inzwischen von seinem Vater nehmen lassen, der ihn prüfend mit seinem Zauberstab antippte und anschließend seinem Sohn zurückgab. „Der scheint nicht verzaubert zu sein, ist also ungefährlich und muss nicht von mir konfisziert werden.“
„Na also“, meinte Ron daraufhin triumphierend und packte sein Portemonnaie aus. „Den nehme ich.“
Molly musste entsetzt zuschauen, wie der Handel direkt vor ihren Augen vonstattenging.

Plötzlich meldete sich Kingsley Shacklebolt zu Wort, der bisher nur geschwiegen hatte. „Ich hätte Interesse an dieser Occamy-Figur da“, sprach er plötzlich mit seiner tiefen Stimme und zeigte auf die kunstvoll geschnitzte, fast kniehohe Dekofigur zu rechts von Mundungus.
Mundungus, bedrängt von allen Seiten, war wieder voll in seinem Element. „Klar doch, das macht dann fünf Galleonen!“
„Ein Weihnachtsgeschenk für deine Mutter?“, fragte Tonks grinsend und beobachtete, wie Kingsley den etwas zwielichtigen Straßenhändler bezahlte.
„Nun, sie hat eine Vorliebe für Tierwesen und hölzerne Figuren“, antwortete er betont langsam.
Ginny, Fred und George kicherten.
Kingsley, nun mit der hölzernen Occamy-Figur in den Händen, wandte sich jetzt wieder Mundungus zu, der dabei war, das gerade verdiente Geld nachzuzählen, und sein Blick wurde wahrhaftig ernst.
„Wenn irgendetwas damit nicht stimmen sollte, werde ich persönlich dem Ursprung dieser Waren noch genauer auf den Grund gehen.“
Mundungus hielt bei den Worten des Aurors inne, fuhr sich mit der freien Hand nervös durch seine rötlichen, verfilzten Haare, schluckte und nickte.

Tonks lachte herzhaft und Kingsley beobachtete, wie sich ihre Haare langsam bonbonrosa färbten. Sie bedachte ihn mit einem Blick.
„Grün war doch nicht so meins.“

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